22. August 2019
Das Sprichwort „Platz ist in der kleinsten Hütte“ bekommt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine neue Bedeutung. Nämlich die der gelebten Realität. Es ist Zeit, schon jetzt Wohnen zu denken, am besten unter dem Aspekt, dass „Downsizing“ tatsächlich ein „Upgrade2 sein kann.
Von Barbara Jahn
Wenn wir heute glauben, Zeit sei unser größter Luxus, weil wir sie nicht mehr einholen können, dann kommt in den nächsten Jahren ein zweiter „größter“ Luxus hinzu: Platz – weil es ihn immer weniger geben wird. Und dafür gibt es viele Gründe. Zum einen ist es die ständig wachsende Weltbevölkerung, die es allen Bewohnern dieser Erde abverlangen wird, enger zusammen zu rücken. Zum anderen ist es der steigende Drang, in urbanen Strukturen mit allen ihren Annehmlichkeiten zu leben. Im Grunde alles vollkommen natürliche Entwicklungen, denn wer hat schon das Recht, jemandem vorzuschreiben, wie viele Kinder er bekommen oder an welchem Ort er leben darf.
Projekt Zukunft
Das ist die Theorie, die jeden Tag ein Stück mehr zur Realität wird. Die Praxis – oder besser gesagt: die Konzepte dafür – müssen möglichst bald in Gang kommen. Denn wir stehen vor großen Herausforderungen, denen wir direkt ins Auge blicken sollten. Zwei Berufsgruppen sind hier besonders gefordert: Architekten und Designer, in deren Verantwortung es liegen wird, den Lebensraum Stadt für die kommenden Generationen zu einem lebens- und liebenswerten Raum zu formen, der ein gutes Zusammenleben mit möglichst wenig Konfliktpotenzial ermöglicht.
Das Shared-Living Projekt Stromstraße Berlin des Architekturbüros SEHW Architektur wurde im Auftrag der Medici Living Group, größter Co-Living-Anbieter Europas realisiert. www.medici-living-group.com
Foto: Philipp Obkircher
Platz für alle
Die demografischen Entwicklungen machen also ein Umdenken nötig. Das, was in der Arbeitswelt schon längst mit den so genannten Shared Offices begonnen hat, wäre eine Variante, die man auch auf das Wohnen umlegen könnte. Das Leben findet in so vielen Konstellationen statt, die sich ständig ändern können, dass hier maximale Flexibilität und Modularität angesagt wäre. Apartments der Zukunft müssen sich verwandeln können – mal größer, mal kleiner. Im Gleichklang damit muss auch die Einrichtung mitmachen. Die Devise heißt: Synergien nutzen – braucht wirklich jedes Apartment zum Beispiel eine eigene Küche? Darf der Esstisch zugleich das Homeoffice sein?
Zeit für Mikrokosmen
Einfallsreichtum ist gefragt. Natürlich gibt es extreme Beispiele wie etwa die Wohnung mit 6,4 Quadratmetern, die Architekt Van Bo Le-Mentzel als Prototyp in Berlin installiert hat. Sie ist vorbildhaftes Beispiel dafür, mit wie wenig Raum man auskommt, um Kochen, Schlafen, Essen, Bad und Homeoffice unterzubringen – zugegeben: Die Raumhöhe beträgt 3,6 Meter. Sie ist aber auch mahnendes Beispiel dafür, dass man in Berlin für 100 Euro Miete in Berlin nur 6,4 Quadratmeter Wohnraum bekommt. Und damit ist Berlin nicht alleine.
Das Co-Sharing House in Holzbauweise von Andreas Breuss zeigt, wie das Haus im Grünen ressourcenschonend doch ein Wohnmodell für die Zukunft bleiben kann.
Foto: Daniel Pabst, © Andreas Breuss
Gemeinsam mehr haben
Ein ganz anderes Verständnis von Sharing zeigt der Planer Andreas Breuss, der mit seinem Projekt Co-Sharing House, das gerade den Holzbaupreis 2019 gewonnen hat, auch ein sozial relevantes Konzept verfolgt. Drei Häuser nutzen gemeinsam die gleiche Infrastruktur, die gleichen Außenräume, die gleiche Ernte aus dem Garten. Das Einfamilienhaus wird in Zukunft eher die Ausnahme sein, der Wunsch nach dem eigenen Grün wird jedoch erhalten bleiben. Genau hier setzt das Projekt an: Teilen und sich gemeinsam freuen, weniger verbrauchte Fläche und trotzdem das Haus im Grünen.
Nils Holger Moormann hat schon immer seine Möbel selbst gebaut und weiß, wie man ein Optimum aus einem kleinen Raum herausholen kann.
Foto: Julia Rotter © Nils Holger Moormann
Wände raus, Wohnen rein
Architekten weltweit arbeiten auf verschiedene Weise an zukunftsorientierten Konzepten, die eines nicht übersehen dürfen: Die Individualität – und das ist ein großer Spagat, der hier geschafft werden muss, nämlich Wohnraum für viele schaffen und gleichzeitig die Möglichkeit, der einzelnen Persönlichkeit Raum zu geben. Shared Living gehört in New York oder auch in London längst zu einer akzeptierten Wohnform, vor allem weil viele Menschen hier nomadisch leben und jobbedingt ortsungebunden sein wollen oder müssen. Meist handelt es sich um in kurzer Zeit errichtete Architekturen, die als Smart Home ausgestattet sind. Oft als Serviced Apartments konzipiert, lässt es sich aber auch ganz ohne fremde Betreuung in dieser Art Minilofts gut leben – Wände zeichnen hier ausschließlich die Kubatur, sonst sind sie eher unerwünscht. Ein Trend kommt dafür unerlässlich wieder zurück: Hohe Räume wie zu Gründerzeiten – ein Muss für die Wohnung der Zukunft.
Raum ist immer relativ: Till Könneker zeigt mit dem Living Cube – der Raum im Raum – was alles auf wenigen Quadratmetern Platz hat.
Foto: © Till Könneker
Fülle für die Hülle
Um diesen Small Living Spaces – seien sie nun shared oder nicht – Charakter zu verleihen, liegt es nun am Bewohner selbst sich mit Dinge zu umgeben, die Platz sparend und multifunktional sind, aber auch die Persönlichkeit unterstreichen. Die so genannten Raumwunder für kleine Räume können dabei ruhig groß sein – Hauptsache, sie nehmen nur den Platz ein, um mehrere Funktionen abzudecken. Selbstverständlich ist auch die eigene Kreativität gefordert: Ausnützen der Raumhöhe für Galerien zum Schlafen oder Arbeiten, darunter in der Box befindet sich Bad und Kochnische, alles einem Strang. Es wird gehängt, gezogen, geschoben, geklappt und gedreht – genau so kommt Schwung in die ganze Sache.